Die IT-Wegwerfproduktion stoppen von Jürgen Neitzel

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D er Lebenszyklus vieler IT-Geräte gerät immer kürzer. Kaufen, wegwerfen, neu kaufen. Kaufen, wegwerfen, neu kaufen. An diesen Ablauf haben sich viele inzwischen gewöhnt und der Austausch-Rhythmus ist bestens bekannt: Alle 2 Jahre ein neues Handy, alle drei Jahre ein neuer Computer. Die Kehrseite dieser Entwicklung sind Umweltzerstörungen und steigender Ressourcenverbrauch auf der einen sowie Menschenrechtsverletzungen und miserable Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite. Doch es gibt Auswege aus der IT-Wegwerfproduktion.

Energieeffizienz war in den letzten Jahren das beherrschende Thema der Diskussionen um ‚Green IT’. Und tatsächlich wurden viele Anstrengungen von Seiten der Branche unternommen, den Stromverbrauch von IT-Geräten in der Nutzungsphase zu senken.

Dies veranlasste viele Verbraucher und IT-Spezialisten zu glauben, dass sich der Kauf neuer, energieeffizienterer Geräte aus ökologischen Gründen lohnen würde. Eine Fehleinschätzung, wie eine aktuelle Studie des Öko-Instituts aus Freiburg im Auftrag des Umweltbundesamts feststellte. Demnach entstehen bei Notebooks die meisten Treibhausgasemissionen während der Fertigung (56 Prozent) und nicht, wie oft angenommen, beim Gebrauch der Geräte. Siddarth Prakash, Projektleiter der Studie: „Der Herstellungsaufwand wurde bisher systematisch unterbewertet“.

Ressourcenverbrauch zu hoch, Recycling ungenügend

B ei der Produktion von IT-Geräten muss jedoch nicht nur der Energieverbrauch, sondern auch der Rohstoffeinsatz stärker beachtet werden. Laut Umweltbundesamt werden für die Produktion eines PCs mit Monitor 1.500 Liter Wasser und 500 bis 1.500 kg Rohstoffe benötigt. Und nach Zahlen des UN-Umweltprogramms UNEP (United Nations Enviroment Programme) stecken weltweit 15 Prozent der jährlichen Kobalt-Produktion, 13 Prozent des gewonnenen Palladiums und drei Prozent des jährlichen Gold- und Silberabbaus in Handys und Computern.

Was noch viel fataler ist: ein Großteil der Rohstoffe kommt, trotz gesetzlicher Vorschriften in der EU, nicht in den Wertekreislauf zurück. Weniger als 50 Prozent der pro Jahr verkauften IT- und Telekommunikations-Geräte kommen im Recyling an, bei Mobiltelefonen sind es sogar nur 4 Prozent, so das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Der Rest verbleibt in der Schublade, landet in Kellern und auf dem Müll oder geht in den Export.

Aus Deutschland werden jedes Jahr mehr als 155.000 Tonnen zum Teil gefährlichen Elektroschrotts ins außereuropäische Ausland verschifft. In afrikanischen Ländern wie Ghana arbeiten Erwachsene und viele Kinder zu Hungerlöhnen auf großen Müllhalden, sortieren den Elektroschrott und verbrennen oder behandeln ihn chemisch, um an die wertvollen Metalle zu gelangen. Dies geschieht oftmals ohne Schutzkleidung, mit schlimmen Konsequenzen sowohl für die Gesundheit der Arbeiter und Anwohner als auch für die Umwelt.

Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, plädiert dafür, stets den gesamten Produktlebenszyklus zu betrachten, wenn es um ökologische und soziale Nachhaltigkeit geht: „Wir brauchen Produkte, die länger genutzt werden, mit mehr Wiederverwendung und besseren Verwertungsverfahren“.

Und man sollte ergänzen: ‚und die unter fairen Bedingungen hergestellt sind’. Verantwortungsbewusste Unternehmen gelangen mehr und mehr zu der Ansicht, dass nur derjenige seine volle Arbeitsleistung vollbringt, der in sicheren Verhältnissen arbeitet und für seine Arbeit gerecht entlohnt wird. „Wir schaden uns als Unternehmen selbst, wenn wir Mitarbeiter unfair behandeln und bezahlen“, sagt Peter Schnautz, Geschäftsführer der InoTec GmbH, die Hochleistungs-Dokumentenscanner in Deutschland entwickelt und produziert.

Die Herausforderungen können aber nur von Politik, Wirtschaft und Anwendern gemeinsam bewältigt werden.

Gesamter Lebenszyklus im Fokus

L ösungsansätze verlangen von den Anbietern, den gesamten Produktlebenszyklus ökologisch und fair zu gestalten. Siddarth Prakash vom Öko-Institut Freiburg appelliert darum an die Hersteller, für mehr Wiederverwendungs-, Upgrade- und bessere Recycling-Möglichkeiten zu sorgen, beispielsweise indem wichtige Komponenten im Verlauf der Nutzung gegen stärkere ausgetauscht werden können, oder durch einen langfristigen Support.

Wie dies in der Praxis aussehen könnte, zeigt die InoTec GmbH aus dem hessischen Wölfersheim. Die Scanner-Spezialisten setzen konsequent auf ein nachhaltiges Produktdesign – von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Entsorgung. Zentrale Merkmale sind die Verwendung langlebiger Komponenten sowie die Auf- und Nachrüstbarkeit der Geräte. Produktverbesserungen sollen grundsätzlich über den Austausch von Komponenten oder Software-Updates realisiert werden.

Die Hochleistungs-Scanner zeichnen sich zudem durch eine hohe Energieeffizienz sowie eine bedienerfreundliche Wartung aus. Ende letzten Jahres hat das Unternehmen zudem ein Recycling-Programm gestartet, dass bei Scanner-Rückgabe durch den Käufer eine umweltverträgliche und fachgerechte Entsorgung zusichert.

Das nachhaltige Produkt-Konzept beinhaltet aber auch eine sozialverträgliche Herstellung. Dazu gehören faire Löhne und strenge Umwelt- und Arbeitsschutz-Vorschriften. Das komplette Produktsortiment entsteht daher am Standort Deutschland.

Im Consumer-Bereich hat in jüngster Zeit das Fairphone des gleichnamigen niederländischen Unternehmens Schlagzeilen gemacht. Ziel ist es, ein Smartphone zu produzieren, das so weit wie möglich ohne problematischen Ressourcen und schlechte Arbeitsbedingungen auskommt. Zwei der 30 eingesetzten Metalle (Tantal und Zinn) stammen aus konfliktfreien Zonen. Weiterhin konnte Fairphone bei seinem chinesischen Produzenten soziale Verbesserungen durchsetzen, zum Beispiel einen Sozialfond für Arbeiter.

Und auch in Punkto Umweltfreundlichkeit bewegt sich das Android-Mobiltelefon in die richtige Richtung. Wechselakku, austauschbares Display und ein leistungsfähiger Prozessor sind die Voraussetzung für eine lange Nutzungsdauer. Und Fairphone spendet drei Euro pro Gerät an E-Schrott-Recycling-Initiativen in Entwicklungsländern.

Das Fairphone ist – besonders im Vergleich mit anderen Mitbewerbern – ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch die Überprüfung von sozialen und ökologischen Anforderungen in Ländern, die sich einer Überprüfung grundsätzlich verweigern, wird fast unmöglich sein. Vielmehr sollte sich die Branche grundsätzlich die Frage stellen, ob man nicht verstärkt in Europe IT-Geräte zu akzeptablen Preisen produzieren kann.

Auf Anwender-Seite zeigt die Techniker Krankenkasse (TK), dass Nachhaltigkeits-Überlegungen und niedrige Gesamtbetriebskosten Hand in Hand gehen. Das Green IT-Konzept der TK sieht vor, durch Aufrüstung statt Austausch Materialressourcen zu schonen. So wurden alle 24 Hochleistungsscanner an fünf Standorten mit neuester LED-Beleuchtungstechnologie aufgerüstet. Das schuf die Grundlage für einen verlängerten Einsatz von weiteren sechs bis sieben Jahren. Mit diesem Schritt hat sich die TK den kompletten Austausch ihrer Scanner-Infrastruktur gespart.

Nachhaltige Beschaffung von IKT

N eben Anbieter und Anwender ist aber auch die Politik bei der Etablierung einer ‚Nachhaltigen IT’ gefragt. Bund, Länder und Kommunen geben jährlich über 2,4 Milliarden Euro für IT-Hardware aus.

Initiativen von Bund und dem Branchenverband BITKOM setzen sich für eine nachhaltige Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologien ein. So gibt es mittlerweile Leitfäden für die produktneutrale und umweltfreundliche Beschaffung in sechs Kategorien (PC, Notebook, Server, Monitor, Thin Clients, Drucker).

Nachhaltige Produktkonzepte lassen sich auch über die Steuerpolitik und den Verbraucherschutz fördern. Einige in der öffentlichen Diskussion auftauchenden Forderungen sind die Verlängerung der Gewährleistungsfrist von zwei auf vier Jahre, oder eine reduzierte Mehrwertsteuer auf haltbare Produkte.

Peter Schnautz, Geschäftsführer der InoTec GmbH fordert sogar eine Abschaffung der Abschreibungsmöglichkeiten auf Produkte: „Abschreibungen setzen falsche Anreize, indem sie suggerieren, dass ein Produkt nur über einen bestimmten Zeitraum halten muss und verleiten dazu, Produkte schneller zu ersetzen“.

Selbst mitentscheiden

D er Wandel hin zu mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in der IT wird jedoch nur dann gelingen, wenn der Verbraucher seine Konsumgewohnheiten ändert. ‚Mehr Qualität, mehr reparieren, mehr wiederverwenden und bewusster recyceln’, muss die Devise lauten. Auf Internetseiten wie ‚ifixit’ werden im Kollektiv Anleitungen und Tipps für Reparaturen zusammen getragen. Der Anspruch ist neben Geldsparen auch ‚Reparieren rettet den Planeten’.

Mitglieder des Verein ReUse-Computer e.V. bereiten gebrauchte Hardware wieder neu auf und verkaufen diese an interessierte Anwender. Und die Inhaber der ca. 72 Millionen Handys, die in Schubladen liegen, können ihre Geräte beispielsweise über den Naturschutzbund oder die Deutsche Umwelthilfe sachgerecht entsorgen und tun dabei noch Gutes, indem ein Teil der Recycling-Erlöse in die Umweltarbeit fließt.

Und vor allem müssen wir uns als Verbraucher eine größere Resistenz gegen die Einflüsterungen der Industrie zulegen. Mit Werbung und anderen Marketing-Maßnahmen werden oftmals erst Produkt-Bedürfnisse geschaffen und die Konsumstimmung zusätzlich eingeheizt. Der Sozialphilosoph André Gorz bringt es auf den Punkt: „Der Konsument steht im Dienst der Produktion und muss die Absatzmärkte garantieren“. Mehr und mehr Menschen praktizieren deshalb ‚Nutzen statt Besitzen’ wie beim Car-Sharing oder ‚Produkte mehrfach nutzen’ wie bei Tauschbörsen.

Das alles zeigt: Wir können selbst die Weichen stellen und mitentscheiden, in welcher Zukunft wir leben wollen.

Jürgen Neitzel

Autor Jürgen Neitzel
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